Neuer Norden Zurich


– NEUER NORDEN ZÜRICH –

9.6. – 2.9. 2018

KIöR

www.neuer norden.org

KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM
Jean-Marie Appriou, Frank and Patrik Riklin (Atelier für Sonderaufgaben), Baltensperger+Siepert
Miquel BarcelÓ,Benedikte Bjerre, Katinka Bock, Tina Braegger, Stefan Burger, Los Carpinteros
Isabelle Cornaro, Paul Czerlitzki,Olafur Eliasson, Ruth Erdt, Fischli/Weiss, Annemie Fontana
HR Giger, John Giorno, Manaf Halbouni, Stella Hamberg, Raphael Hefti, Nic Hess, Gregor Hildebrandt
Irene & Christine Hohenbüchler, Alfredo Jaar, Daniel Knorr,Peter Kogler, Renée Levi
Rémy Markowitsch, Achim Mohné, Olivier Mosset, Matt Mullican, Yves Netzhammer,Peles Empire
Annaïk Lou Pitteloud, Alex Sadkowsky, Lin May Saeed, Veronika Spierenburg, Jules Spinatsch
Bernhard Vogelsanger, Lawrence Weiner.

PREOPENING
Performance mit Daniel Knorr
8. Juni, 17-18 Uhr, Laden Miami
Opfikonstrasse 69, 8050 Zürich

OPENING
8. Juni, 18-20 Uhr, Offene Rennbahn Oerlikon
Thurgauerstrasse 2, 8050 Zurich
mit anschliessendem Apéro und DJ Ian Anüll

 


 
Jules Spinatsch, Schwamendingen 1992:
Langzeit Reportage über ein Aussenquartier der Stadt Zürich, 1991 — 1992

Ein Text von Alexandra Blättler

Die in der Ziegelhütte in Schwamendingen gezeigte Arbeit von Jules Spinatsch datiert zurück auf 1992. Hintergrund dazu waren sein Studium der Soziologie und die zeitgleiche Arbeit als Assistent bei diversen Fotografen. Parallel begann er selber erste fotografische Bilder in Zeitungen wie der WOZ oder dem Beobachter zu publizieren. Regelmässig fuhr er zum Fotolabor im GZ Heerenschürli in Schwamendingen. Noch viel mehr als heute hatte das Quartier mit Imageproblemen zu kämpfen. Soziologisches Interesse und bildnerisch geschultes Auge veranlassten Jules Spinatsch, sich über längere Zeit einer fotografischen Studie zu Schwamendingen zu widmen. Mit anderen Worten stellte diese Langzeitstudie von ca. einem Jahr die Fortsetzung seines nicht weiter verfolgten Soziologiestudiums dar — während der inhaltliche Ansatz derselbe blieb, wurden Medium und Werkzeug gewechselt. Die Schwamendinger-Arbeit sollte u.a. den weiteren fotografischen Weg Spinatschs ebenen, indem er diese neben anderen Arbeiten für sein Studium am ICP in New York einreichte.
Seit 2012 befindet sich der zweite Satz der Originalprints im Besitz der Ziegelhütte. Bereits 1993 wurden jedoch 45 Baryt-Prints aus dem dortigen Labor im GZ Heerschürli präsentiert und in Form eines Kalenders unter der Bevölkerung verbreitet. Im Anschluss fand die Arbeit den Weg in die Sammlung der Fotostiftung Schweiz. Nun schliesst sich der Kreis und die Bilder werden 26 Jahre später in der Ziegelhütte im Kontext von Neuer Norden Zürich in neuer Formation und Hängung präsentiert.
Schon früh befragte Jules Spinatsch fotografische Traditionen und Produktionsbedingungen von Bildern und stand der Tradition der „concerned photography“ zunehmend kritisch gegenüber. Die spätere Arbeit Temporary Discomfort (2001-2004, Sammlung MoMA) sollte diese Aspekte auf den Punkt bringen und den für Spinatsch wichtigen multiperspektivischen Ansatz formulieren: parallele Narration von landscape, portrait und surveillance.
Die Arbeit zu Schwamendingen stand ganz am Anfang seines Weges vom Reportage-Fotografen zum Künstler, der sich u.a. auf Arbeiten mit steuerbaren Kameras spezialisierte. Hier interessierten ihn zum Beispiel die komplexen Konstruktionen und Überlagerungen eines Lee Friedlanders genauso wie die Melancholie eines Robert Franks (vgl. Schwamendinger Chilbi). Andere Bilder aus der Serie wiederum zeigen die Menschen in extremer Nahaufnahme, was Nähe und Teilhabe zwar suggeriert, das zu Betrachtende aber gleichzeitig bis in die Unschärfe abstrahiert.
Die Bilder erzählen vom in einem Leben zwischen Dorf und Stadt, vom Menschen zwischen städtischer Brache und Landwirtschaft, Arbeitsalltag und Freizeit. Eine wichtige literarische Grundlage dazu stellte damals die Zeitschrift Alltag. Das Sensationsblatt des Gewöhnlichen von Walter Keller und Nikolaus Wyss dar.
Die Arbeit von Jules Spinatsch liefert im Kontext von Neuer Norden Zürich die Möglichkeit einer retrospektiven Reflexion über ein Quartier, das sich in stetigem Wandel befindet wie die Fotografie selbst und stellt historische Quelle zugleich dar. Mai 2018