Snow Management, Olymp – Galerie Fasciati, Chur 2006

Catherine Hug

OLYMP – Alpenglühen um Mitternacht

Es wird von verschiedenen Seiten postuliert, dass Naturräume, die in erster Linie touristische Destinationen sind, mittlerweile vorwiegend artifiziellen und sogar ortsfremden Gesetzmässigkeiten gehorchen, was jüngst auch aus historischer Warte von Jim Ring in seinem Buch „How the English Made the Alps“ unterstrichen worden ist. Dabei interessiert uns hier vor allem der Begriff „made“, zu Deutsch „machen“. Die grossen Hotelkomplexe sind schon lange errichtet und decken mittlerweile alle Bedürfnisse ab, und die Verkehrserschliessung dieser Resorts wird in regelmässigen Zeitabständen aktualisiert und optimiert. continue reading >>

Aber die neuen technischen Möglichkeiten, welches das 20. Jh. mit sich gebracht hat und das Leben beim Benutzer vereinfachen, machen die Handhabung auf anderen Ebenen wieder komplizierter, wenn man zum Beispiel an die erwünschten Schneebedingungen auf Skipisten denkt. Jules Spinatsch beobachtet diese logistische und infrastrukturelle Komplexität im Alpenraum nun seit mehreren Jahren und fasst seine künstlerische Übersetzung unter dem Begriff Snow Management zusammen. Die Benennung dieser Werkgruppe könnte nicht treffender sein, denn „Management“ hat mit der Erledigung von Aufgaben in Zusammenarbeit mit vielen anderen Menschen zu tun, und dies unter Umständen auch ohne sichtbare Führung. Dabei bearbeitet das Pistenfahrzeug den Schnee, wie der Pflug den Acker. Grundsätzlich bleiben diese Arbeiten mit ihren Maschinenmonstern im Diskreten verborgen, in jüngerer Zeit werden aber auch sie als Helden unserer weissen Arenen gefeiert. Mit dem Ausstellungstitel Olymp möchte der Künstler auf die Wunsch nach Verewigung der erfolgreichsten Sportler in den metaphysischen Höhen ihres Siegeszuges hinweisen, aber auch auf den Entstehungsort einiger seiner neuen Bilder, den Olympischen Spielen in Turin. Zudem erinnert er uns daran, dass wir es hier mit einem etymologisch vom Griechischen Berg der Götter hergeleiteten Verständnis der Gipfel „voll des Lichtes“ zu tun haben.

Nachdem der Ausbau der Berge hinsichtlich Komfort als abgeschlossen betrachtet werden kann, sind wir bei einem fortgeschrittenen Stadium des Freizeitangebots angelangt. Der alleinige Konsum der Berge mittels Abfahrtski reicht offensichtlich nicht mehr aus, um unsere eventhungrige Generation zu befriedigen. Die Vielfalt und der Erfindungsgeist der Veranstalter sind schier unerschöpflich und kennen keine Grenzen, wie die von Jules Spinatsch beobachteten „Adventure Night Serfaus on the Edge“ im Tirol, das Sylvesterprogramm des „O’Neill Snow Board-Jam“ in Davos oder der Multimedia-Ausbau der Skisprung-Arena am Schattenberg bei Innsbruck bezeugen. Die Erlebnisnacht in Serfaus ist dabei ein schlagendes Beispiel, wie die Berge als Bühne benutzt und durch Flutlicht und ausgefeilte Dramaturgie in ein göttliches Lichtdesign eintauchen. Im Fall von Bild Scene S2 können wir die filigrane Silhouette eines Segelschiffes erkennen, von der „Endurance“ des berühmten aber 1916 gescheiterten Antarktiserforchers Ernest Shackleton. Die Expedition wurde vom englischen Königreich grosszügig finanziert und es konnte darum auch für ihre gute Dokumentierung gesorgt werden. Das in Serfaus auf den Berghang projizierte Bild ist das Negativ der untergehenden „Endurance“. Wie die Bühnetechnik im Zeitalter des Entertainments den „Berg als Screen“ unverzüglich in den „Berg als Schlachtfeld“ verwandeln kann, zeigt das Werk Scene S1 auf. Die Nachtlandschaft und das sich darin abspielende martialische Schauspiel findet dabei am selben Ort statt wie vorher: Pistenfahrzeuge stehen hier ähnlich einer Panzerformation in einer Militärparade in Reih und Glied und werden mit Feuerwerk entgegen ihres sonstigen stillen Heldentums mit grosser Sichtbarkeit gefeiert. Welchen Feind man hier damit beeindrucken möchte, ist wohl klar: eine eigensinnige Naturgewalt, die sich immer wieder selbst organisieren will.

Sollte man die Artifizialität dieser alpinen Schauspiele als störend empfinden? Oder zelebrieren wir sie vielmehr darum unentwegt, weil die Schönheit der Alpen uns bei aller Natürlichkeit schon immer irgendwie artifiziell vorgekommen ist? Denn das älteste systematisch verwertete Naturschauspiel der Berge, das Alpenglühen, hat seinen Ursprung letztlich auch einem tragischen Ereignis zu verdanken: 1883 sind wegen dem Vulkanausbruch auf Krakatau in Indonesien rund 25 Kubikkilometer Schutt und Asche in die Luft katapultiert worden, und die Staubwolke hat mehrere Monate zum Umkreise des Erdballs gebraucht, aber die feinen Rückstände in der Hemisphäre haben gleichzeitig dazu geführt, dass der Abendhimmel sich noch dramatischer als üblich rot färbte. Das hat vielen Künsten als unversiegbare Quelle der Inspiration gegolten.

„Wenn ich die Welt mir heutzutag betrachte,
dann seh ich, wie sich alles ändert ringsumher.
Erst schlägt es siebene, a Stund drauf schlägt es achte –
von einer Stund zur andern weiß man gar nix mehr.
Das alte Haus: ob ich zum letzten Mal es sehe?
Den alten Berg: ob ich zum letzten Mal ihn zwing?
Jedoch das Alpenglühn bleibt ewig in der Höhe,
wie in dem Stimmungsbildnis, das ich jetzt besing (…)“

Georg Kreisler, Songtext von Alpenglühen, 1965

Cathérine Hug, Zürich, 25. Oktober 2006

Giovanni Carmine

Of white snow

Virgin fields of white. Dark pine trees, whose snow-laden branches bend under the weight of their powdery load. Here and there a wooden hut among the undulating hills, surrounded by a backdrop of massive mountain rock. The idyllic picture of an alpine winter landscape – as seen on picture post-cards and tourist industry advertising brochures. Snow as a symbol of purity seems to be the ideal advertising medium; a positive, creative image based on the idea of unspoiled nature, the same nature that in the 19th Century attracted the first tourists from England to the alps during the summertime. Yet even for the Kabbala, snow is a symbol of dichotomy that on the one hand conveys purity and growth, while on the other destruction, just as it embodies the potential for evil. And no one knows this aspect better than the inhabitants of the mountains themselves. continue reading >>

Jules Spinatsch’s series of pictures ‘Snow Management’ unveils in a stunning way exactly this ambivalence. Already in the chosen title, which unifies material and infrastructure in a succinct way, a contemporary conception of the relationship to the natural elements is highlighted clearly. Today snow is a natural element which in order to allow a coexistence with mankind and his civilisation, requires both control and creativity. This is not only to prevent natural catastrophes and to allow for mobility but also because snow can represent an important economic resource. Its purity is only a superficial requirement – it is the seductive aspect of a product whose raw material can even be (re)produced by means of high-energy expenditure.

Snow can be a highly photogenic subject, perhaps even a photographic challenge. Coping with whiteness is no easy task and requires a great deal of technical know-how. Spinatsch sets the accent in his pictures not only on spectacular light contrasts which the snow allows for but also concerns himself with the problem of natural elements and the functional technology to which they are subordinated. During the winter the photographer visited the most famous winter resorts to take his pictures. There, where provisional arenas for classic wintersports competitions are set up, the incongruousness is at its most visible. The natural landscape is reinforced with – as Spinatsch puts it – Alpine Units, clearly provisionally built installations which as a result of their material form possess sculptural aesthetic characteristics, as they have to look safe and beautiful when transmitted as television images, at least from the perspective captured on camera. This results in a hybrid situation in which nature and technology, material and function clash, yet – at least temporarily – appear to accommodate one another. The aesthetic brute force that these functional elements release in nature finds a balance in Spinatsch’s pictures as well as a logical, sometimes uncann, identity.

As well as the Alpine Units, the artist defines other pictures in the series as ‘Applied Landscapes’. Here the modelling of the landscape itself is the central focal point. These pictures are reduced to a virtual form of basic black & white classical photography and present freshly prepared ski slopes, functionally lit at night by lamps from snow vehicles or snow canons. The keen sharpness of these clips, and the minimal chromatic play that arises on the snow surface, put these landscapes into a state of suspension which, like science fiction imagery, lies somewhere between reality and fiction. The artificiality of this formed nature is highly tangible.

‘Snow Management’ reveals the un-blemished purity of snow. Visible are the traces of scattered salt and other chemicals, the flatness of industrial snow crystals and the marks left by the trails of snowcats. The snow of an alpine sport landscape, which our pleasure-seeking society needs and exploits, could just as well be green. As green as a golf course.