Vom kalten Krieg zum Internet-Zeitalter anhand einiger Episoden zur Nuklear-Technologie: so umschreibt Jules Spinatsch die Werkserie mit dem Titel ASYNCHRON I–X. Sie befasst sich mit exemplarischen Stationen aus der Geschichte der Nuklear-Technik nach dem 2. Weltkrieg. Dabei behandelt jede Episode ein konkretes Ereignis oder Nicht-Ereignis, das für das Verständnis der historischen und technischen Entwicklung und die politische und gesellschaftliche Stimmung während der Zeit des Kalten Krieges steht. Gleichsam untersucht die künstlerische Arbeit eine Bildwelt, die gewählt wurde, um technische Errungenschaften und ihre Ideologien zu vermitteln. So werden die Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlich eingesetzter fotografischer Verfahren (die dokumentarische, erklärenden Fotografie) durch die künstlerische Bildfindung aufgezeigt. Spinatschs Arbeit ist als analytischer Beitrag zum jeweiligen Phänomen und als Reflexion der darin hervorgebrachten Bildwelt zu verstehen.
In der Zeit des kalten Kriegs bis Ende der achtziger Jahre, wurde die Schweiz von einer bürgerlichen Mehrheit dominiert, die den militärisch-wirtschaftlichen Komplex des Landes bildete. So gab es in den späten 40er und 50er Jahren Bestrebungen, sowohl von militärischen wie auch wirtschaftlichen Kreisen, eine nationale Atom-Industrie aufzubauen. Die Verteidigungsdoktrin sah die atomare Bewaffnung vor: Man wollte in der Lage sein, mit schnellen Flugzeugen bis nach Moskau zu fliegen, um präventiv atomare Verteidigungsschläge auszuführen. Ein geeignetes Transport-Vehikel war der Mirage III Kampfjet. Der französischen Hersteller modifizierte die Flugzeuge mit den gewünschten Tragvorrichtungen für Nuklearbomben. Obwohl die Mirage nie in einen Ernstfall zum Einsatz kam, die Idee der Schweizer Atombombe schon bald verworfen wurde, und ihre Beschaffung in einem politischen Skandal endete, geniesst sie bis heute eine herausragende Verehrung durch das Schweizer Volk. Dies beweist, neben wechselnden Farbanstrichen der Flugzeuge, eine Vielfalt von Postkarten der einzelnen Flugzeuge. Die zwei in der Ausstellung hochformatig gegen den Himmel schiessenden Flugzeuge erinnern an brachiale Skulpturen kommunistischer Staaten einerseits und dienen als Analogie zu den totalitären Eigenschaften, die der Atomtechnologie inhärent sind. Der kalte Krieg ist vorbei, die meisten Monumente in Osteuropa und Russland stehen nach wie vor als Hinterlassenschaften eines vergangenen Regimes. Durch die rote Übermalung des Schweizerkreuzes auf den Flügeln der Mirage aktualisiert der Künstler das Bild und rückt es näher an die veränderte Realität. Es erzählt von der Tatsache, dass die Flugzeuge selbst ihrer nationalen Funktion enthoben sind und das Land nun nicht mehr zu repräsentieren brauchen, der kalte Krieg ist vorbei. Der rote Punkt hat nun keine eindeutige Leseart mehr, er kann als Verweis auf die Tatsache gelesen werden, dass es ohne die real oder eingebildete kommunistische Bedrohung keine Mirages in der Schweizer Armee gegeben hätte.
II : Depot ABC (1967-1997)
Nach einigen Verzögerungen konnte 1967 der schweizerische Versuchs-Reaktor in unterirdischen Kavernen bei Lucens in Betrieb genommen werden. Beim ersten Versuch, die volle Leistung abzurufen ereignete sich ein schwerer Unfall. Die Explosion mit anschliessender Kernschmelze beendete bereits 1969 den Traum der Schweizer Maschinenindustrie, mit einer eigenen Kernreaktorlinie auf dem Weltmarkt mitmachen zu können. Für die 1969 und 1971 fertiggestellten AKWs Mühleberg und Beznau wurde frühzeitig beschlossen, diese mit amerikanischen Reaktoren zu bestücken. Der Reaktor und die Kavernen wurde nach dem als GAU Stufe 5 von 7 klassifizierten Vorfall versiegelt. Lucens signifiziert das Ende der helvetischen Bemühungen die Atomkraft mit eigenen Entwicklungen sowohl wirtschaftlich wie militärisch zu nutzen. 1979 erschien der Schlussbericht der parlamentarischen Untersuchungskommission PUK, der den Hergang der Katastrophe minutiös untersuchte und beschreibt. 1992 beschloss die Waadtländer Regierung Betriebsgebäude und Zugangsstollen zum Reaktor in ein Depot für Kulturgüter umzuwandeln. Seit 1997 beherbergt das Depot Kulturgüter von ca. 20 kantonalen Institutionen.
Die Videoprojektion beinhaltet Bildmaterial dreier offizieller Publikationen (nüchterner Bericht zur Inbetriebnahme 1967, wissenschaftlicher Schlussbericht zum Unfall, PUK, 1979 und illustrierte Informationsbroschüre zum Kulturgüter-Depots 1997) und einer fotografischen Panorama-Aufnahme. Spinatschs automatisierte Kamera zeichnete im Januar 2013 ein Panorama aus 315 Einzelbildern des Areals in Lucens auf. Zusammen mit den isolierten Bildmaterial der offiziellen Dokumente entstand eine visueller Flug durch die Geschichte des AKWs in Lucens zwischen 1967 und 2013. Das stille Video ist eine Konstruktion aus Bildwelten verschiedener Herkunft und Funktionen: die im Schlussbericht von 1979 pragmatisch beschnittenen und angeordneten dokumentarischen Nahaufnahmen von Reaktorteilen bleiben abstrakt und vermitteln Genauigkeit und Sachlichkeit der Untersuchung. Die Bilder des Kulturdepots gewähren erstmalig einen Einblick ins neu gestaltete Innere und seine öffentliche Funktion. Spinatschs Schluss-Sequenz des heutigen Areals schafft eine eigenartig meditative Atmosphäre. Der Blick bleibt an der äusseren Gebäude-Haut kleben und suggeriert spekulative Hinweise auf Geschichte und aktuelle Funktion des Ortes.
III: The missing 20 minutes – Zwentendorf, 1978
Die absurde und spannende Gesichte und die aktuelle Gegenwart des Atomkraftwerks bei Wien: Eine Hauptinstallation der Ausstellung mit dem Titel „The missing 20 minutes“ zeigt eine kaleidoskopische Aneinanderreihung fotografischer Aufnahmen des Reaktor-Innenlebens in Zwentendorf/Österreich. Das AKW wurde 1978 fertiggestellt, aber nie in Betrieb genommen. Bei einer Volksbefragung, lehnte das Volk die Inbetriebnahme mit 50.47 % äusserst knapp ab. Diese Sachvorlage kam überhaupt zur Abstimmung, weil die Regierung Kreisky vom Eintreffen des gewünschten Resultats überzeugt war. Das zeigt auch die Tatsche, dass die Anlage unmittelbar vor Inbetriebnahme stand: Es fehlten lediglich die 20 Minuten, die es dauert, um die Brennstäbe vom Lagerbecken in den Reaktor abzusenken. Man wollte nur noch die Bestätigung durch die Abstimmung abwarten.
Die steuerbare Kamera, montiert auf der Absenkvorrichtung für die Brennstäbe, hat diese fehlenden 20 Minuten nachgefahren, und dabei 289 Bilder aufgenommen; vom Rand des Reaktors bis 20 Meter in die Tiefe zum Ort der vermeintlichen Kernspaltung. Das Time-Space Panorama in Zwentendorf ist einerseits ein Bild das durch die Volkswillen überhaupt ermöglicht wurde, indem der Reaktor unkontaminiert gebliebenen ist. Andererseits ist das Bild nur schwer erfassbar hat sich doch die Kamera gleich mehrfach bewegt, hin und her geschwenkt und dabei noch seine Position verändert.
Zwentendorf steht für das Zusammenfallen von Vergangenheit und Zukunft, bei dem die Gegenwart, also ein AKW im Normalbetrieb, nie stattfand. Verhindert hat es eine demokratischer Prozess, dazu gehören auch die zu der Zeit aufkommenden Proteste aber vor allem und die völlige Fehleinschätzung der Regierung Kreisky.
Das „Museum“ Zwentendorf stellt aus, was in naher Zukunft der Fall sein wird: stillstehende Atomanlagen, in denen AKW-Rückbauschulungen abgehalten werden. Phänomene, Vorgänge und Geschichte werden mit einer eigenen Bilderwelt nachvollziehbar gemacht (cf. IV im folgenden Kapitel). Das AKW selbst kann man als Museum der Zukunft begreifen aber auch als demokratische Skulptur die von weitem sichtbar an der Donau steht.
IV : Dosis of Confirmation – Normalbetrieb, 2013
Spinatsch wollte 2012 im AKW Beznau mit seine steuerbaren Kamera eine Panorama-Aufnahme realisieren. Doch er erhielt eine Absage. Die AXPO erlaubt nur Bilder, die sie kontrollieren kann und ihre Marketing Absichten unterstützt. Ein fotografisches Verfahren das Zufall und Kontrollverlust als kreatives Prinzip benützt, ist daher natürlich suspekt. Spinatsch brauchte eine neue Idee, um den Normalbetrieb eines AKW zu thematisieren: Er untersucht das didaktische Bildmaterial, das die Betreiber der Schweizer AKWs anbieten.
Ein AKW in Betrieb bedingt, aufgrund ihres permanenten Rechtfertigungsdrucks, immer auch in ein funktionierendes Besucher-Zentrum. Dort werden Naturgesetze illustriert, Phänomene vorgeführt, Vergleiche gezeigt und Technologien erklärt. Spinatsch besuchte die Zentren der AKW Beznau, (Axporama), Leibstadt und Gösgen und fotografierte wie jeder andere Besucher auch. In diesem Kapitel unterzieht der Künstler die erklärenden Bilder einer didaktischen Umdeutung, oder besser „Entdeutung“. Durch die Eliminierung des Kontextes, die Abstraktion im Bildausschnitt und die Präsentationsform als doppelseitige Tafeln, werden die Ausstellungsbesucher involviert. In der Ausstellung der COALMINE werden die Besucher didaktisch undidaktisch verführt, indem sie die Tafeln selber neu arrangieren und ihre persönliche Geschichte konstruieren können.
V : Obsoleum
Obsoleum ist eine Wortschöpfung von Spinatsch selber (Obsolet und Museum) und umschreibt die Erfüllung des Endlagerwunsches, nämlich einer Verflüchtigung des Themas in der ewigen Dunkelheit des Erdreichs. Obwohl seit ca. 50 Jahren Abfälle produziert werden, gibt es weltweit kein einziges fertig gebautes oder funktionierendes Endlager für schwer radioaktive Abfälle. Das Material befindet sich in Castor-Behältern in Zwischenlagern, oft auf dem Areal der Kernkraftwerke selber. In der Schweiz wird der schwer radioaktive Abfall ins Zwischenlager Zvilag in Würenlingen gebracht, in eine einfache, gut bewachte Halle im Schweizer Mittelland, nahe der AKWs Beznau und Leibstadt.
Gemäss Kernenergiegesetz ist die Nagra damit beauftragt, Lösungen für eine sichere – dem Menschen und der Umwelt verpflichtete Entsorgung der in der Schweiz verursachten radioaktiven Abfälle – zu erarbeiten und zu realisieren. Somit dürfen radioaktive Abfälle der Schweiz nicht exportiert werden. Zudem ist die Nagra dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit über Ihre Arbeit zu informieren. Spinatschs Bildtafeln von Endlager Miniatur-Modellen in den Besucher-Zentren von Gösgen und Leibstadt, abstrahieren und demonstrieren der Sicherheit eines Endlagers. Mittels in Sedimentgestein eingeschlossener Leitfossilien wird der Vorgang, einer Beweisführung ähnlich, behauptet. Spinatsch übernimmt diese Analogie. Die Bildtafeln repetieren und verdichten diese lineare Narration. Durch Umstellen der Tafeln lässt sich diese Geschichte kaum variieren, die Marketing-Erzählung der Nagra bleibt unverändert. Einzig das schwarze Quadrat leistet interpretatorischen Widerstand.