Chur
20. März bis 17. April 2021
Seraina Peer
Jules Spinatsch — Planetary Upgrade Fair
Mit ‹Temporary Discomfort Chapter I–V›, 2001–2003, und der Entwicklung einer automatisierten Aufnahmetechnik gelang Jules Spinatsch der internationale Durchbruch. Jetzt schreibt er mit der fotografischen Installation und Monographie ‹Davos is a Verb› ein neues Kapitel. Die Ausstellung ist in der Galerie Luciano Fasciati zu sehen und regt an, über die temporäre Aneignung von Orten nachzudenken.
Erneut nimmt der gebürtige Davoser Jules Spinatsch (*1964) seine Heimatstadt in den Fokus, um deren strukturelle Veränderungen, Spannungsverhältnisse und das Gefühl eines «temporären Unbehagens» aufzuzeigen. Aber was meint er mit ‹Davos Is A Verb›?
Der Künstler versteht das Verb in seinem Werktitel als Ausdruck für ein Verhalten: Ist es nicht so, dass Davos fast unbewusst mit dem World Economic Forum (WEF) assoziiert wird? Der Künstler überträgt die Fähigkeit des Verbs zur Konjugation auf Davos und thematisiert fotografisch, wie die Alpenstadt ihrer Veränderbarkeit ausgesetzt ist. Zunehmend bestimmen nicht nur wenige Januartage das Davoser Ortsbild. Einzelne Lokale stehen sogar ganzjährig leer und transformieren sich erst während des WEF in schillernde Places-To-Be. Davos mutiert zum Repräsentations-Pop-Up – die Hauptstrasse wird in eine kilometerlange Kommunikationsfläche verwandelt. Die aus dem WEF resultierenden Nebenschauplätze und der Prozess der temporären Aneignung lokaler Räume durch internationale Konzerne und Organisationen waren Auslöser für den Werkkomplex ‹Davos is a Verb›. Spinatschs Arbeit erschöpft sich aber nicht in einem Vorher-Nachher-Vergleich. In Glasscheiben gespiegelte Gesichter überlagern sich mit inszenierten Interieurs und mischen sich mit einer Flut von Firmenlogos und Slogans in Leuchtschrift. Damit wird die Komplexität der Diskurse um Machtverhältnisse, Lukrativität und Publicity angedeutet.
Die Galerie Luciano Fasciati in Chur wird im Stil einer Messe mit bedruckten Textilien in einzelne thematische Räume unterteilt und – wie Davos – «in Szene gesetzt». Während grossflächige Fotografien zur Immersion einladen, stehen andere als Roll-Up-Banner im Raum, bieten verschiedene Blickwinkel gleichzeitig an oder werden zu Skulpturen in Form von thematischen Sitzwürfeln. Einer davon zeigt Fahrzeuge, vom Transporter mobiler «Almhütt’n» bis zum Anhänger mit einer Flugabwehrkanone. Die Dichte an Implikationen, die sich sowohl innerhalb der Bilder als auch zwischen einzelnen Fotografien zu neuen Geschichten spinnen lassen, erweckt ein bedenkliches aber zugleich amüsierendes Gefühl von Absurdität. In Zeiten von Corona haben leere Lokale nicht nur in Davos einen unbehaglichen Beigeschmack. Umso pointierter folgt gerade diese Ausstellung auf das Ende des zweiten Lockdowns.