ZIMMER 111 – Galerie Fasciati 2025

Galerie Luciano Fasciati Chur
30. August bis 27. September 2025
Finissage am Samstag, 27.9.2025 · 14–17 Uhr
Um 16 Uhr, Rene Ammann: Journalist, Buchautor, Verleger edition kraa, und auch Hotelsohn aus Davos im Gespräch mit Jules Spinatsch
Zum Ende der Ausstellung erscheint das Booklet: Jules Spinatsch, Zimmer 111
Text: Joerg Bader, Gestaltung: Karin Holzfeind

Joerg Bader

Jules Spinatsch — Zimmer 111

Beinahe magisch ist die Zimmernummer: einhundertelf – und noch magischer die Idee, in einem Hotel aufzuwachsen. Das war die Kindheit und Jugend von Jules Spinatsch im Sporthotel Clavadel bei Davos, das seine Grosseltern und Eltern von 1957 bis 1986 führten.
Das Leben in Hotelzimmern ist von Mythen umrankt: Im Chelsea Hotel in New York hausten vor allem arme Künstler, reiche Künstler mieteten sich im Danieli in Venedig ein – und das Sporthotel Clavadel lag irgendwo dazwischen. Jules Spinatschs Jugend spielte sich in einem Familienbetrieb ab, der die Zeitspanne vom frühen Kurtourismus im späten 19. Jahrhundert bis hin zu den ersten Hochphasen des Massentourismus umfasst.

Die Ausstellung nimmt mehrere Erzählstränge auf: vom Hotel zu Segantini, Kirchner und Lise Guyer, über Roland Collombin bis hin zu Spinatschs Familie. Vor allem aber erzählt sie von seiner Kindheit in einem Seitental von Davos, wo Heidi und Peter und Schellenursli nebenan wohnen – und von einer Jugend, die Winnetou, Dennis Hoppers Easy Rider und Stanley Kubricks Film The Shining gekannt hat.

Jules Spinatschs bereits achte Einzelausstellung in der Galerie Luciano Fasciati verbindet im Ausstellungsraum eigene und historische Fotografien mit Ansichtskarten, Dokumenten und Aufnahmen aus Familienalben zu einer opulenten auto-bio-fotografischen Installation.

Kurz vor dem Abriss des Hotels im Jahr 2019 verbrachte Spinatsch einen ganzen Tag allein im Inneren der Hotelruine – um neue Bilder zu machen und innere Bilder, sowie vergessene Momente aufzurufen. Dabei entdeckte er im Untergeschoss einen Raum, den er als Kind nie betreten hatte. Darin befand sich ein Fenster, das ins Erdreich führte, mit der Aufschrift «Eingang Restaurant». Spinatsch nahm es als Aufforderung, nun den Boden der Geschichte umzugraben – bevor das Haus abgerissen und als Phoenix, als Neu-Nachbau, wieder auferstehen sollte. Phoenix war der Projektname des Architekturwettbewerbs für den 2023 eingeweihten Neubau.*

Während seiner Recherche stellte der er fest: «Von den Momenten, an die ich mich erinnere, gibt es meist keine Fotografien – und von den Momenten, von denen es Fotos gibt, kann ich mich kaum erinnern. Oder haben die Bilder der Fotografien meine eigenen Erinnerungen ersetzt?». Mit Zimmer 111 präsentieren Luciano Fasciati und Jules Spinatsch eine Premiere – und zugleich ein Wagnis. Denn die künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie lag bisher fern von Spinatschs dreissigjähriger künstlerischer Praxis.
Allerdings kennen wir von ihm zwei Hotel-Serien aus den Jahren 2011 und 2012, die im Kabinett der Galerie zu sehen sind: Digestif – Z’Hotel isch gar nid so schlimm entstand im Hotel Bregaglia (Promontogno), wohin Luciano Fasciati Künstler:innen für eine Gruppenausstellung einlud. Auch für Exit Strategies war der Künstler Hotelgast: Für die Ausstellung Real Venice – eine Kollateralveranstaltung der Biennale – wurden namhafte Fotograf:innen eingeladen, um eine Arbeit in Venedig zu realisieren. Jules Spinatsch zeigte eine Serie Fotografien unterschiedlichster Hotelzimmer mit ihren Fluchtplänen und einen Kurztext. Darin schlägt er einen Bogen von seiner Situation in Venedig zu den Akteuren in Rainer Werner Fassbinders Film Warnung vor einer heiligen Nutte, bis zu Stanley Kubricks The Shining. Rückblickend erkennen wir, dass das Entkommen aus dem Familienhotel in Clavadel und aus Davos für ihn die Basis legte, um später in Zürich zur Kunst zu kommen.

* Das Haus ist schön geworden, die Umgebungs-Gestaltung und Bebauung ein Desaster.